Baden-Württemberg trifft weitreichende Entscheidung zum Einsatz von alternativen Antrieben im SPNV

DAtum

Die SPNV-Flotte in Baden-Württemberg bwegt Titelbild Studie zu alternativen Antrieben

Im Rahmen einer Studie wurden 16 Streckenabschnitte des Schienennetzes in Baden-Württemberg untersucht, um die Frage zu beantworten, ob alternative Antriebe oder neue Oberleitungen der kostengünstigere Weg sind, um das Ziel der vollständigen lokalen Emissionsfreiheit zu erreichen. Während BEMUs überzeugen, birgt das Ergebnis der Studie Konsequenzen von bedeutender Tragweite für die HEMUs.

Das Land Baden-Württemberg hat es sich zur Aufgabe gemacht, künftig keine dieselbetriebenen Fahrzeuge mehr für nicht-elektrifizierte Streckenabschnitte zu beschaffen. Die beste Alternative für das Schienennetz mit oberleitungsfreien Abschnitten sollte eine Bietergemeinschaft aus TransportTechnologie-Consult GmbH (TTK), komobile GmbH (Wien) und weiteren Partnern ermitteln. Zu diesem Zweck wurden 16 nicht-elektrifizierte Streckenabschnitte betrachtet, die in Baden-Württembergs Elektrifizierungskonzept zum Teil der Kategorie 3 „Langfristiger Bedarf/fahrzeugseitige Lösungen“ zugehörig sind. Ein anderer Teil wurde der zweiten Kategorie „Vordringlicher Bedarf/Lückenschluss“ zugeordnet. Ein konkretes Projekt besteht für keinen der untersuchten Streckenabschnitte.

Wasserstoff-Hybrid-Fahrzeuge in keinem Teilnetz Erste Wahl

Die 16 betrachteten Streckenabschnitte bündeln sich in sechs Teilnetze. Für jedes Teilnetz spricht die Studie eine Empfehlung samt Begründung aus. Die Studien-Ergebnisse lassen aufhorchen. Für keines der sechs Teilnetze konnte der Einsatz von Wasserstoff-Hybrid-Fahrzeugen (HEMU = hydrogen-electric multiple unit) empfohlen werden. Diese Tatsache nutzte das Verkehrsministerium des Landes, um für sich klarzustellen, dass „der Betrieb mit Wasserstoff-Hybrid-Zügen in naher Zukunft aufgrund diverser betrieblicher und wirtschaftlicher Gründe nicht weiter in Betracht gezogen wird.“ Die Kosten, die der Einsatz der Technologie mit sich bringt, sind im direkten Vergleich signifikant höher als bei den betrachteten Alternativen.

Betrachtet wurden neben HEMUs auch Batterie-Hybrid-Fahrzeuge (BEMU = battery-electric multiple unit) und die lückenlose Elektrifizierung der Teilnetze für den Betrieb konventioneller elektrischer Fahrzeuge (EMU = electric multiple unit). Dabei empfiehlt die Studie für drei der sechs Teilnetze den Einsatz von BEMUs. Selbst in den anderen drei Teilnetzen ist die Kosten-Differenz zwischen beiden Alternativen nur gering. Aufgrund der hohen Lückenschlussfunktion für das restliche Netz hat sich die Studie in diesen Fällen für EMUs ausgesprochen.

Elektrifizierungskonzept Schiene Baden-Württemberg
Bild: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg

Ergebnisse der Teilnetze

Zu den einzelnen im Rahmen der Studie untersuchten Teilnetzen veröffentlichte das Land Baden Württemberg folgende Ergebnisse:

Teilnetz Nagoldtalbahn

  • Strecke: Pforzheim – Horb
  • Nicht elektrifiziert: Pforzheim-Brötzingen – Hochdorf
  • Empfehlung: Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen
  • Begründung des Gutachters: Deutliche Kostenvorteile für den Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen. Gegen eine Elektrifizierung der Gesamtstrecke sprechen eine eingeschränkte Nutzbarkeit im Schienengüterverkehr und eine große Zahl an Tunneln und anderer Gewerke, deren Elektrifizierung mit hohem zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand verbunden wäre.

Teilnetz Donautalbahn Plus

  • Strecken: Ulm – Sigmaringen, Sigmaringen – Tuttlingen, Herbertingen – Aulendorf
  • Nicht elektrifiziert: Ulm – Sigmaringen, Sigmaringen – Tuttlingen, Herbertingen – Aulendorf
  • Empfehlung: Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen
  • Begründung des Gutachters: Deutliche Kostenvorteile für den Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen.  Für die Gesamtstrecke wäre der Aufwand für den Bau einer Oberleitung sehr hoch.

Teilnetz RSB Bodensee-Oberschwaben

  • Strecke: Aulendorf – Kißlegg
  • Nicht elektrifiziert: Aulendorf – Kißlegg
  • Empfehlung: Einsatz konventioneller Elektro-Züge mit dem Bau einer Oberleitung
  • Begründung des Gutachters: Kostenunterschiede zwischen dem Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen sowie der Elektrifizierung mit dem Einsatz konventioneller Elektro-Züge gering. Oberleitung wichtig wegen Lückenschlussfunktion mit dem übrigen Netz.

Teilnetz Westfrankenbahn

  • Strecken: Crailsheim – Lauda/Königshofen – Wertheim – Miltenberg – Seckach
  • Nicht elektrifiziert: Crailsheim – Königshofen, Lauda – Wertheim – Miltenberg; Seckach-Miltenberg
  • Empfehlung: Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen
  • Begründung des Gutachters: Deutliche Kostenvorteile für den Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen. Für die Gesamtstrecke wäre der Aufwand für den Bau einer Oberleitung sehr hoch.

Teilnetz Hohenlohebahn

  • Strecke: Heilbronn – Öhringen – Schwäbisch Hall / Hessental 
  • Nicht elektrifiziert: Öhringen-Cappel – Schwäbisch Hall / Hessental
  • Empfehlung: Einsatz konventioneller Elektro-Züge mit dem Bau einer Oberleitung
  • Begründung des Gutachters: Kostenunterschiede zwischen dem Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen sowie der Elektrifizierung mit dem Einsatz konventioneller Elektro-Züge gering. Oberleitung wichtig wegen hoher Lückenschlussfunktion.

Teilnetz Raum Stuttgart

  • Strecke: Korntal – Weissach, Kirchheim/Teck – Oberlenningen, Nürtingen – Neuffen
  • Nicht elektrifiziert: Korntal – Weissach, Kirchheim/Teck – Oberlenningen, Nürtingen – Neuffen
  • Empfehlung: Einsatz konventioneller Elektro-Züge mit dem Bau einer Oberleitung
  • Begründung des Gutachters: Sehr geringe Kostenunterschiede zwischen dem Einsatz von Batterie-Hybrid-Zügen und konventionellen Elektro-Zügen. Perspektivisch mehr Freiheiten bei der Gestaltung der Betriebsprogramme im Großraum Stuttgart.
221017_Anlage_2_zu_PM_SteFanS-Gutachten_-_Einsatz_alternativer_Antriebe_im_Schienenverkehr
Quelle: Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg

BEMUS schon jetzt eine echte Alternative

Die Studie zeigt, dass der Einsatz von BEMUs zur Erreichung des Ziels der lokalen Emissionsfreiheit schon jetzt wirtschaftlich zu begründen ist. Dies spiegelt auch der aktuelle Stand alternativer Antriebe in Deutschland wider. Stand Mai dieses Jahres waren unter den 299 Bestellungen für alternativ angetriebene Fahrzeuge ganze 251 BEMUs. Bei Studien-Ergebnissen, die deutlich gegen den Einsatz von HEMUs sprechen, ist es beinahe verwunderlich, dass noch fast 50 Fahrzeuge dieser Art bestellt sind. Auch auf der diesjährigen InnoTrans haben Stadler mit dem Flirt H2, Siemens Mobility mit dem Mireo Plus H und Alstom mit dem Coradia iLint ihre Wasserstoff-Hybrid-Fahrzeuge für den deutschen bzw. internationalen SPNV präsentiert.

Außerdem erprobt die DB Energie Lösungen für die Versorgung von Zügen mit Wasserstoff. Hierfür entwickelt sie mobile Wasserstofftankstellen in denen der Energieträger direkt vor Ort mit Hilfe von Ökostrom hergestellt und anschließend in einem mobilen Speicher gelagert wird. Das ermöglicht eine Tank-Geschwindigkeit, die mit der eines Diesel-Fahrzeugs vergleichbar ist.

Dafür, dass zum Teil an Wasserstoff als Energieträger im SPNV festgehalten wird, spricht die Tatsache, dass SPNV-Akteure noch Potenzial in der Weiterentwicklung der Technik in allen Bereichen von Rohstoff-Beschaffung und -Einsatz bis hin zur Fahrzeugentwicklung sehen könnten. Bei entsprechender Weiterentwicklung der noch jungen Technologie hinter HEMUs könnte sich die Kosten/Nutzen-Relation auf Dauer verändern, wodurch die Studienergebnisse, die sich an der aktuellen Situation orientieren, überholt wären. Deutlich wird jedoch, dass Wasserstoff-Hybrid-Fahrzeuge wirtschaftlich zumindest noch keine vertretbare Alternative zu BEMUs darstellen.